Die Kneipenkirche von Landringhausen – mehr als ein Spaß-Projekt

Die letzte Kneipe von Landringhausen bei Hannover schloss vor drei Jahren. Jetzt schafft die evangelische Gemeinde Abhilfe: mit einer Kneipe in der Kirche.

Frau steht an einer Bar und schenkt ein Bier ein

Ein Bier, bitte! Theresa Müller schenkt ein

von Michael Grau (epd)

Philipp Müller (31) hat an diesem Abend im wahrsten Sinn des Wortes alle Hände voll zu tun. Mit beiden Händen balanciert er zehn Gläser Pils, um sie von der Theke unter der Empore nach draußen zu seinen Kumpels zu bringen. „Das ist unsere Männergruppe, wir nennen sie Boßelgruppe“, erzählt der Baumaschinentechniker aus Landringhausen bei Hannover. Alle sind heute zur Dorfkirche gekommen, um ihr Feierabendbier zu nehmen. Denn hier wartet im Juni ein ganz besonderes Event: Die evangelische Ortsgemeinde hat die kleine Kirche in eine Kneipe auf Zeit verwandelt.

„Kneipenkirche“ nennt sich das Projekt, das drei Diakoninnen aus der Region und eine Kirchenvorsteherin ins Leben gerufen haben. Beides passe gut zusammen, finden sie: „Kirche ist schon immer ein Ort der Begegnung und der Gemeinschaft gewesen“, betont Diakonin Carina Hausmann (41) in der Eröffnungsrede auf den Altarstufen. Deshalb haben die vier zusammen mit rund 50 ehrenamtlichen Helfern das Gotteshaus leergeräumt und Tischgruppen für rund 40 Personen hineingestellt. Unter der Orgelempore gibt es Bier und Wein, Kaffee und Cola.

Prost und Amen!

Ob es wirklich Deutschlands erste Kneipenkirche ist, wissen die vier nicht so genau. Aber eins ist sicher: „Wer Kneipenkirche googelt, findet nur uns“, sagt Diakonin Louisa Stölting (29). Gemeinsam mit den drei anderen Frauen lässt sie zur Eröffnung symbolisch die Gläser klingen. Und unter großem Applaus stimmen dann alle vier in den Slogan ein: „Prost und Amen“.

Mehre Menschen sitzen auf Bänke vor einer Kirche und trinken Bier
Die letzte Kneipe von Landringhausen bei Hannover schloss vor drei Jahren. Jetzt machen die Buerger aus der Not eine Tugend: Sie richten in der alten Dorfkirche im Juni einen Treffpunkt mit Kleinkunst und Ausschank ein (Foto vom 01.06.2023). Ein „kuehles Helles“ mit Blick auf den Altar ist im Juni in der Dorfkirche in Landringhausen bei Hannover zu bekommen. Dann wird das evangelische Gotteshaus abends zur „Kneipenkirche“: Jeden Donnerstag bis Sonnabend von 19 bis 23 Uhr ist die Theke unter der Empore geoeffnet. Drei Diakoninnen und der Kirchenvorstand organisieren dort ein Angebot mit Kleinkunst und Ausschank. Ziel ist es, in der Kirche einen Begegnungsraum auf Zeit zu schaffen, der Gemeinschaft, Kultur und Alltagsspiritualitaet miteinander verbindet. (Siehe epd-Bericht vom 02.06.2023)

Wer die Kneipenkirche für ein reines Spaß-Projekt hält, liegt allerdings falsch. Der Aktion liegt ein ausgefeiltes Konzept zugrunde. Längst haben Louisa Stölting und die anderen festgestellt, dass viele Menschen in Deutschland sich inzwischen kaum noch trauen, die Schwelle einer Kirche zu übertreten. Bei einer Fahrt von Mitarbeitenden nach Magdeburg haben sie sich überlegt, was sie dagegen tun können. „Dort werden schon viele Kirchen wegen niedriger Mitgliederzahlen als etwas anderes genutzt“, sagt Stölting. „Da haben wir uns gedacht: Wir müssen es ja nicht so weit kommen lassen.“

Was als fixe Idee begann, nahm schließlich über Monate hinweg Gestalt an und fand immer mehr Fürsprecher. Eine kirchliche Stiftung spendierte sogar Geld für ein Kulturprogramm. So können in der Kneipenkirche jetzt Bands und ein Zauberkünstler auftreten. Geplant sind Karaoke, ein Table-Quiz, Figurentheater und ein Filmabend mit einem Regisseur. Blaue Leuchtstäbe sowie Lampions zwischen den hohen Kirchenfenstern sorgen dabei für Party-Ambiente.

Bei den rund 70 Premieren-Gästen kommt das an. „Dass man in einer Kirche mal was anderes trinkt als Abendmahlswein, ist schon toll“, sagt Olaf Wegener (55). Der Ingenieur ist mit dem Auto aus einem Nachbarort gekommen und hat sich deshalb kein Bier, sondern ein Alster bestellt. Seine Frau Karin Puy (54) pflichtet ihm bei: „Solange das alles in Maßen bleibt, warum nicht?“

„Programm für Groß und Klein“

Draußen an den Stehtischen nippen die Zwillinge Noel und Mia Gentzsch (16) an ihren Gläsern. Beide sind der St.-Severin-Kirche von Landringhausen konfirmiert worden. „Ich finde, das ist eine schöne Aktion“, sagt Noel. Klar, einige im Dorf hätten gesagt, das sei nichts für sie, ergänzt seine Schwester. „Aber das ist ja völlig Ok.“ Sie selbst will jedenfalls wiederkommen und vielleicht ihre Freunde von der Boule-Gruppe mitbringen.

Insgesamt sei das Echo in dem 950-Einwohner-Dorf überwiegend positiv, freut sich die Kirchenvorsteherin, Köchin und Mitinitiatorin Theresa Müller (28): „Auch die Älteren sagen: Ich gehe zwar nicht unbedingt zum Rock-Abend, aber dafür vielleicht zum Quiz-Abend. Es ist für Groß und Klein alles dabei.“

Bis Ende Juni wird die Kneipenkirche jeden Donnerstag bis Sonnabend von 19 bis 23 Uhr ihre Türen öffnen. Die Kanzel, die wie ein Schwalbennest über dem Kirchensaal thront, bleibt bis dahin unbesetzt. Die Aktion solle Berührungsängste abbauen, und zwar ohne missionarischen Auftrag, betont Diakonin Stölting: „Wir führen keine Liste, wer am Ende in die Kirche eingetreten ist. Wir wollen einfach ein schönes Programm bieten für die Leute aus dem Dorf und aus unserer Region.“

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